OOBA-007: Out of the Box-Allgemein – Beitrag 004
In diesem Trainingsresümee geht es um die drei folgenden miteinander verbundenen Punkte:
- Um meine jüngst vollzogene Abkehr und Entwöhnung von Trainingsaufzeichnungen und Analysen.
- Um grundsätzliche Gedanken zum Thema der elektronischen Selbstvermessung.
- Und drittens darum, wie man ohne elektronische Trainingsauswertung ziel- und genussorientiert sporteln kann.
- Die Abkehr von Trainingsaufzeichnungen und Analysen
Ich war ein Getriebener. Ein von mir selbst Getriebener. Das wurde mir Mitte Jänner wieder einmal bewusst, als ich mir meine Trainingsanalysen auf www.movescount.com sowie die Trainingsresümees in diesem Blog ansah.
Allein der Name des Programms ist bereits Programm: Movescount, bestehend aus moves und count. Was das Programm kann, ist damit klar: Zählen von moves oder Trainingseinheiten.
Und was dahinter steht, liegt auf der Hand. Only moves count. Nur Trainingseinheiten zählen. Sowie die Zahlen, Daten und Fakten dazu.
Und so habe ich diese, da sie mir nun einmal so bequem vorlagen, stakkatoartig im Blog aufgezählt. Die Zahlen, Daten und Fakten meiner Trainingseinheiten. Serviert auf dem Silbertablett für das eigene Ego. Am Beispiel Dezember: 22 Trainingseinheiten, 53 Trainingsstunden, davon rund 46 auf dem Rad (1.177k) und 6 im Keller (allgemeines Krafttraining). Im Schnitt 5,5 Trainingseinheiten pro Woche oder 1,7 Stunden Training pro Tag. Und so weiter. Und so weiter.
Und das, obwohl es für mich de facto gar keinen Unterschied macht, ob ich in einem Monat 800 oder vielleicht einmal nur 500 Kilometer fahre. Das heißt, es macht rein konditionell betrachtet wahrscheinlich einen Unterschied. 800 Monatskilometer machen mich wahrscheinlich ein wenig fitter als 500. Allein, ich werde das kaum bemerken. Denn: Ich messe den vermuteten Unterschied nicht. Ich nehme nicht an Rennen teil. Ich mache keine Leistungstests. Ich interessiere mich nicht für Strava-Segmente.
Und trotzdem machte diese so einfach verfügbare Auswertung etwas mit mir. Konkret: Ich ließ mich bis vor kurzem von diesen Statistiken und meinem zahlenfixierten Ego antreiben. Ließ mich dazu verleiten, immer mehr zu trainieren. Immer bessere Zahlen zu schreiben. Und damit Zahlen immer mehr zum Mittelpunkt meines sportlichen Tuns zu machen. Das wollte ich abstellen.
Was folgte, war ein radikaler Schnitt. Denn: So viel war mir klar. Der Weg zu einem anhaltenden „Change“, zu einer längerfristigen Veränderung führt nur über eine Entwöhnung von den oben zitierten Zahlen, Daten und Fakten. Und damit über eine persönliche Gegenbewegung zum gerade massiv zunehmendem Trend der sportlichen Selbstvermessung.
- Grundsätzliche Gedanken zur elektronischen Selbstvermessung
Mit Runtastic und Co. verkauft gerade eine rasant wachsende Fitnessindustrie genau den gegenläufigen Trend zu meinem Zugang. Deren Botschaft lautet: Kaufe dir die neue coole Uhr. Oder App. Für dein ebenso cooles Phone. Und dann zeichne alles auf. Deine Schritte am Tag. Deine Bewegungszeiten. Deine verbrauchten Kalorien. Deine Schlafstunden. Kilometer. Höhenmeter. Und vieles mehr. Und dann teile das alles live mit deinen Freunden.
Die Argumentation ist klar und nachvollziehbar: Nur wenn ihr eure Aktivitäten aufzeichnet, könnt ihr eure Fitness und Gesundheit steuern. Ihr könnt eure Fortschritte sehen und diese motivieren euch, immer ein bisschen mehr Sport zu machen. Ihr werdet damit gesünder. Fitter. Attraktiver.
Überhaupt erscheint das Gesünder, Fitter und Attraktiver-Mantra der hippen Lifestyle-Sport-Community das Pendant zum Schneller, Höher und Weiter der Olympioniken zu werden. Bestens unterstützt von der Technik.
Für mich hat diese neue Welt voller Möglichkeiten der Selbstvermessung zwei Seiten. Die eine ermöglichte mir endlich ohne jedes Zutun auf Knopfdruck auszuwerten, was ich zuvor in meiner viele Jahre zurückliegenden Wettkampflaufbahn mühsam täglich, wöchentlich und monatlich auf Papier dokumentieren, zusammenrechnen und auswerten musste. Zugegeben: Heute ist bequemer. Aufschlussreicher. Und so wird Training wirklich steuerbar. Zumindest, wenn man die Zahlen, Daten und Fakten annähernd richtig zu deuten weiß.
Die zweite Seite ist allerdings, dass ich durch die übersichtlichen und anschaulichen Auswertungen immer mehr begann, für die Zahlen, Kurven und Balken in meiner App zu trainieren. Wenn ich in der ersten Woche 180k gefahren bin, wollte ich in der zweiten Woche wenigstens 200k und in der dritten Woche mindestens 220k abspulen. Das Ende der einen Trainingseinheit führte dadurch zum Gedanken auf die nächste Einheit. Denn: Wenn mir am Samstag am Ende einer Einheit noch 70k auf das Wochenziel fehlten, und ich am nächsten Tag eigentlich keine Zeit fürs Training hatte oder die Wettervorhersage schlecht war, bedeutete das zweierlei: Erstens konnte ich die soeben beendete, vielleicht wunderbare 120k-Runde gar nicht mehr genießen, weil die Gedanken schon beim nächsten Tag waren. Und zweitens war ich gleich einmal auf Vorrat schlecht gelaunt, weil ich befürchtete, mein Trainingspensum am nächsten Tag nicht erfüllen zu können.
Und genau damit geht bzw. ging für mich persönlich etwas verloren, was ich im Sport und der Bewegung suche. Nämlich einen Ausgleich zum ergebnisorientierten beruflichen Alltag. Im Beruf geht es für mich ganz klar um Ergebnisse. Ich werde letztendlich dafür bezahlt, die mit meinem Job verbundenen Aufgaben zu erfüllen und die entsprechenden Ergebnisse zu erbringen. Das ist OK, reizvoll und macht mir Freude.
Im Sport hingegen möchte ich die Bewegung genießen. Sollte jede Einheit ein kleines Erlebnis sein. Möchte ich, dass ich mich danach gut fühle. Eindrücke noch einmal Revue passieren lasse, die ich unterwegs hatte. Und mich durch viele kleine Schritte, die alle für sich lässig sein sollen, auf das eine oder andere Projekt, wie z.B. eine Mehrtagesfahrt oder einfach nur eine lange, schwere Tagestour vorbereiten. Die dann wiederum unter dem Aspekt des Erlebens und Genießens steht.
Zwischenresümee: Die Möglichkeiten der elektronischen Selbstvermessung sind für sich genommen spitze. Ich finde es gut, dass es diese gibt und es gibt ganz bestimmt viele Nutzer der Fitter-Gesünder-Attraktiver-Fraktion, denen es richtig viel Freude und Motivation bereitet, die eigenen Trainingseinheiten und den Trainingsfortschritt in Form von Zahlen, Balken und sonstigen Grafiken dargestellt zu sehen und mit Freunden zu teilen. Mit mir machten diese Analysen aber etwas, was mir zunehmend zur Belastung wurde. Ich fixierte mich zu sehr auf das Zahlenmaterial und verlor damit die Unbefangenheit des Augenblicks im Tun.
- Wie ich ab jetzt versuche: Ohne elektronische Trainingsauswertung ziel- und genussorientiert zu sporteln
Anbei mein persönliches Rezept dazu:
- Ich verwende keine Uhr mehr, die meine Trainingsdaten (Kilometer, Höhenmeter, Herzfrequenz, etc.) aufzeichnet. Ich zeichne eine Ausfahrt dann auf, wenn es sich um eine Tour handelt, über die ich in meinem Blog schreiben will und weil ich den Lesern die Runde auf einer Landkarte zeigen möchte.
- Ich stoppe nicht, wie lange ich genau unterwegs bin.
- Ich dokumentiere meine Ausfahrten auch nicht per Hand.
- Ich bleibe meinem persönlichen Trainingsleitfaden dennoch treu, in dem ich mir für jede Trainingsperiode überlege, welche Schlüsseleinheiten ich absolvieren will.
- Die Dauer der Einheiten unterteile ich in drei Kategorien, die Messung erfolgt ganz grob anhand der Uhrzeit (Start und Aknunftszeit).
- Kurz sind Einheiten bis 1,5 Stunden.
- Mittellang sind solche zwischen 1,5 und 3 Stunden.
- Lange Einheiten dauern mehr als drei Stunden.
- Bei der Einschätzung meiner Trainingsintensität verlasse ich mich auf meine jahrelange Erfahrung und mein Körpergefühl.
- Im aeroben Trainingsbereich strenge ich mich gefühlt gar nicht an und kann mich jederzeit locker unterhalten.
- Im Schwellenbereich atmete ich spürbar tiefer und etwas schneller.
- Im anaeroben Bereich atme ich tief, schnell und spüre, wie die Beine langsam zu brennen beginnen.
- Aktuell, d.h. bis Ende Februar versuche ich jede Woche eine lange Einheit unterzubringen. Und zwar deshalb, weil es Spaß macht, wenigstens einmal wöchentlich länger unterwegs zu sein. Dazu versuche ich zwei bis drei weitere Ausdauereinheiten auf dem Rad oder alternativ (Nordic Wanning) zu absolvieren. Länge so, wie es sich ergibt.
- Zusätzlich zu den Ausdauereinheiten mache ich weiterhin mindestens einmal wöchentlich eine funktionelle Krafteinheit mit einem Schwerpunkt im Bereich Rumpf- und Armmuskulatur.
- Ergometer-Training ist endgültig gestorben. Wenn ich Zeit für eine Ausdauereinheit habe und im Freien zu fahren wetterbedingt nicht möglich ist, gehe ich eine flotte Runde (Nordic Walking) oder mache eine meiner bestens bewährten Nordic Wanning-Einheiten. Damit bin ich an der frischen Luft und habe immer einen gewissen Erlebnisfaktor mit inbegriffen, was man von einer Ergometer-Einheit im Keller nicht immer sagen kann…
- Wenn mir drei von vier Trainingswochen in etwa so gelingen, wie oben skizziert, baue ich mir über den Winter eine solide Basis für größere Vorhaben im Frühjahr und Sommer auf. So viel steht für mich fest. Dazu muss ich keine Details über Kilometer, Trainingsstunden und Intensitäten wissen.
- Mit 1. März wechsle ich in die allgemeine Vorbereitungsperiode 2, d.h. dann werde ich einmal wöchentlich eine von mir so bezeichnete G1K-Einheit einbauen. G1 steht für Grundlagenausdauer 1 und somit eine aerobe Einheit nach der oben skizzierten Intensität (ruhige Atmung, jederzeit gesprächsbereit) und K steht für kraftorientiert. Praktisch bedeutet das, dass ich für anfangs 2-3x 15 Minuten in der Ebene einen schweren Gang einlegen werde und locker dahin mahlen werde (Tf70-80). Zudem hoffe ich, ab März wieder mehr Zeit auf dem Rad verbringen zu können, was wetterbedingt im Jänner und Februar nicht so gut möglich war.
- Mit den G1K-Einheiten bereite ich meine Muskulatur auf die später ab Mitte April folgenden G2K-Einheiten am Berg vor. Bei den G2K-Einheiten mahle ich im Schwellenbereich (tiefe Atmung) für 5-8×5’ mit schwerer Mühle (Tf 60-70) einen mittelsteilen Anstieg hoch. Diese Einheiten bringen mir die spezifische Kraft, die ich für Passanstiege bei längeren und höhenmeterreichen Touren benötige. Der Start der G2K-Einheiten markiert gleichzeitig den Beginn der speziellen Vorbereitungsperiode, die von Mitte April bis Ende Mai dauert.
- Mein erstes großes Saisonziel besteht in einer dreitägigen Etappenfahrt mit Davide Schöggl von Arnfels nach Bozen, geplant für Ende Mai. Spätestens dann werde ich sehen, wie weit ich mit diesem unpräzisen Trainingsregime komme.
- Jetzt im Februar und März geht es für mich einmal darum, mich an meine eigenen Vorgaben zu halten und wieder zurück zu einem ursprünglicheren, von Zahlen, Daten und Fakten unbelasteten Zugang zu finden. Denn so viel kann ich jetzt schon berichten: Die erste Einheit ohne meine Suunto Ambit war wie der erste Tag für jemanden, der mit dem Rauchen aufhören will. Beim Trainingsbeginn stand ich kurz davor, mir die Uhr doch wieder umzuschnallen. Und obwohl es echte Überwindung kostete, ließ ich sie zurück und nahm nur meine uralte Polar-Uhr mit, um zu sehen, wie spät es ist. Ich absolvierte meine Einheit dann tatsächlich, ohne die Starttaste der Stoppuhr zu betätigen. Es funktionierte. Und machte sogar Spaß. Über meine ersten umfassenden Erfahrungen mit diesem neuen Zugang berichte ich dann in meinem nächsten Trainingsresümee.