OOBT – 002: Out of the Box-Touren – Beitrag 002
Nieselregen. Dunkelheit. Restmüdigkeit von der Woche zuvor. Die Voraussetzungen für das ganz große Projekt der heurigen Tourensaison könnten besser sein, als an diesem Samstag, dem 26. September 2015.
Aber: Aufgeben ist nicht. Schon gar nicht bevor das Projekt überhaupt gestartet ist. Und so geht es los. Immer dem Strahl des starken Flux-Lichtes auf meinem Diverge nach, in Richtung Eibiswald zu David Schöggl, der heute mein Führungsmotorrad sein wird.
Das Ziel: Tarvis. Dazwischen: Mehr als 220 Kilometer und 3.000 Höhenmeter über Slowenien, Kärnten und wieder Slowenien nach Italien.
Episode 1: Radlpaß. Ein schwieriger Start in den Tag
Der Radlpaß. Immer wieder eine Hürde. Und zwar weniger der Anstieg selbst, als die Anfahrt dorthin. Ein „false flat“, wie die Engländer zu sagen pflegen. Ein „Schmierer“, wie wir Südsteirer sagen. Die Steigung beginnt kurz nach dem Kreisverkehr in Aibl. Sie ist spürbar, aber kaum zu sehen. Einfach unangenehm, weil man nicht ins Rollen kommt. Schon gar nicht um – gefühlt – kurz nach Mitternacht. Mit noch müden Beinen. Und mit dem Spritzwasser des voranfahrenden David Schöggl im Gesicht. Was aber wenigstens endgültig aufweckt.
Umso schöner ist der erste kleine Erfolg der Fahrt auf der Passhöhe am Radlpaß. Eigentlich nur ein Wimpernschlag vom Start weg und noch eine Ewigkeit vom Ziel entfernt. Aber gefühlsmäßig weit mehr: Die erste unangenehme Hürde überwunden, die Beine warm gefahren und die Gewissheit in der Morgendämmerung, dass uns heute nichts mehr aufhalten wird. Der innere Schweinehund ist endgültig zum Schweigen gebracht. Und auch das Nieseln hat sich gelegt.
Episode 2: Ravne na Koroškem. Industrieort und Naturidylle erinnern an die Frühjahrsklassiker
Vom Radlpass führt uns unsere Tour nach Dravograd und von dort weiter nach Ravne na Koroškem. Früher wurden in Ravne Waffen hergestellt. Noch heute befindet sich dort mit Metalravne ein ansehnliches Stahlwerk des gleichnamigen Konzerns. In und um Ravne zeigt sich ein Kontrast zwischen einem wunderbaren, naturbelassenen Tal und einem hardcore-Industrieort mit einem kilometerlangen Industriekomplex und davor einem Relikt aus alten Tagen in Form eines wunderbaren alten Schornsteins aus Klinker-Ziegeln.
Ein Kontrast zwischen Industrie und Natur, wie ich ihn liebe und suche. Und zwar, weil mich dieser an die belgischen und nordfranzösischen Radsportklassiker erinnert. Etwa an Lüttich-Bastogne-Lüttich, wo das Rennen aus der Industriestadt Lüttich heraus in die wunderbaren Ardennen-Wälder führt und dann im Finale wieder das Industrieviertel in Lüttich durchquert. Oder an Paris-Roubaix, wo es durch kilometerlange Felder geht, vorbei an aufgelassenen Bergewerken wie z.B. beim berühmten Wald von Arenberg und schließlich sein Finale in Roubaix findet. Und Roubaix wird aufgrund seiner Industriegeschichte in der Textilerzeugung als die „Stadt der 1.000 Schornsteine“ (frz. ville aux 1.000 cheminées) bezeichnet. Diese Phantasie motiviert.
Aufnehmen konnte ich auf dieser Fahrt durch Ravne jedoch nur meine Eindrücke. Keine Fotos. Denn: Das Führungsmotorrad David Schöggl ließ keine Pause zu…
Episode 3: Bad Eisenkappel und Scheidasattel. Nach dem Frühstück setzt uns ein Schriftsteller unter Druck
Der erste absolute Höhepunkt der Fahrt wartet in Bad Eisenkappel: Frühstück und Kaffee. Und das in einem gemütlichen Kaffeehaus im Ortszentrum, in dem die Einheimischen ihren wöchentlichen Samstags-Vormittags-Kaffee-und-Tratsch abhalten.
Nach dem doch eher ungemütlichen ersten Teil der Fahrt ist das einfach wunderbar. Und erinnerungsreich. Genau so etwas gab es früher im Café Stelzl in Arnfels. Aber leider ist der Traditionsbetrieb, wo es genau diese Szene mehr als 100 Jahre lang gab, mittlerweile geschlossen. Und so findet man die Erinnerungen daran eben in Kärnten. Auch schön.
Ein absolutes radsportliches Highlight der Tour wartet dann gleich ums Eck. Es ist dies die Zufahrt und der Anstieg zum Scheidasattel, der uns von Bad Eisenkappel nach Zell/Pfarre bringt. Es handelt sich dabei um ein altes und ehemals gefürchtetes Partisanengebiet im slowenischen Teil Kärntens. Die Wetterstimmung passte genau zu diesem Thema: Nebelschwaden, nasse Straßen, fallende Blätter und eine immer enger werdende Straße. Wüsste man es nicht besser, wähnte man sich am Ende der Welt. An dessen tatsächliches Ende zu gelangen die Partisanen zu verhindern wüssten. Aber so ist es natürlich nicht.
Im Gegenteil. Zuvor hat dieser Abschnitt noch eine absolute Überraschung zu bieten.
Bevor der Scheidasattel uns aufnimmt und uns dem Ziel um einen Anstieg näher bringt, treffen wir auf einen, und zwar den einzigen, Radsportler auf unserer Fahrt. Es handelt sich dabei um einen älteren Kauz mit Bierbäuchen, der es mit uns aufnehmen will. Auf einem umgebauten gelben Bianchi mit geradem Lenker setzt er sich, als wir ihn überholen, knallhart in den Windschatten. Und fährt dazwischen sogar immer wieder aus diesem heraus und auf gleiche Höhe mit uns.
Morgen müssen wir Radl putzen. Eröffnet er das Gespräch.
Und ich antworte und frage: Ja, bestimmt. Aber: Bist du früher die Österreich Rundfahrt gefahren, weil du gar so andrückst?
Nein, nein. kokettiert er. Ich bin nur ein Hobbyradler, und schon im 7. Lebensjahrzehnt.
Und testet damit meine Allgemeinbildung.
Aber sicher erst Anfang 60. Das ist ja noch kein Alter für einen Radfahrer. Antworte ich.
Ja, 61. Antwortet er mit einem verschmitzten Lächeln.
Wobei. Jetzt interessiert mich dieser Kerl, der da mit Rucksack und einem kleinen Bierbäuchen so ganz locker neben uns herfährt und keinen Tritt locker lässt erst recht.
Und so frage ich, wo er denn hinfahre. Darauf antwortet er, dass er zu einem Schriftstellertreffen fahre.
Potz, Blitz. Mit allem rechnet man. Aber damit nicht. Nebel, nasse Straße, das gefühlte Ende der Welt, kein Verkehr, keine Menschenseele weit und breit. Und dann trifft man auf einen Hobbyradfahrer mit Rucksack, der uns beinahe unter Druck setzt und dann zu einem Schriftstellertreffen fährt.
Aber leider: Meine Neugier erfährt eine jähe Ablehnung. Denn auf die Frage, ob er wohl ein berühmter Schriftsteller sei, den wir gerade nicht erkennen, bremst er plötzlich ein und biegt ab. Ins Niemandsland. Grußlos. Ende dieser Episode.
Episode 4: Loiblpass & Bled: Espressi, Sandwich & See bringen Stärkung und Erholung
Vom Scheidasattel geht es über Zell/Pfarre hinunter nach Ferlach an den Fuß des Loiblpasses.
Der Loiblpass. Ein ganz gemeiner Hund. Und gleichzeitig ein ganz besonders lässiger. Denn: Sowohl landschaftlich als auch vom Streckenprofil her wunderbar zu fahren. Und das aus folgenden Gründen:
Im Unterschied zu langweilig gleichmäßigen Anstiegen bietet der Loibl fast auf jedem Kilometer etwas anderes. Von unglaublich steilen Stufen über Schmierer bis hin zu Serpentinen – sowohl bergauf als auch bergab – ist alles dabei.
Und ganz zum Schluss auch noch eine super lässige Tunnelfahrt. Lässig zumindest dann, wenn man ein Licht mit hat. Andernfalls dürfte es eher ein Blindflug sein. Bis zum Licht am Ende des Tunnels.
Und am Ende des Tunnels dann wieder ein Highlight: Ein Duty Free-Laden mit vielen köstlichen Kalorien für Radfahrer. Da stört auch der kalte Wind vor dem Duty Free kaum.
Vom Loibl geht’s zur Belohnung bergab und quasi am Talausgang suchen wir uns dann auf Nebenstraßen bis nach Bled. Das Gefälle ist dabei immer auf unserer Seite, es ist spürbar wärmer und so komme ich mir dabei so richtig stark vor.
In Bled angekommen muss direkt am See eine ordentliche Rast her. Schokoriegel reichen jetzt nicht mehr aus. Zwei starke Espressi – ein doppelter und ein einfacher – und ein ordentliches Schinken-Sandwich sind dabei Balsam für die Radler-Seele, bedeuten eine Stärkung für die Muskel und geben Kraft für die letzte Etappe.
Kraft, die wir noch benötigen werden. Denn: Eigentlich wähnen wir uns in der Wärme des Urlaubsortes ja schon beinahe im Ziel. Aber: Wie sich bald herausstellen wird, ist das ein Irrtum. Denn ab Bled wird es noch einmal so richtig hart…
Episode 5: Von Bled über Jesenice und Kranjska Gora. Die ungeliebte Steigung
Von Bled weg führt uns zunächst ein herrlich verspieltes, weil enges, kurviges und hügeliges Strässchen nach Jesenice. So weit so gut.
In völliger Unkenntnis der weiteren Streckenführung, insbesondere der Topographie derselben, erleben wir ab Jesenice eine Überraschung der besonderen Art. Warum auch immer, Davide und ich teilen das Bild, wonach es von Jesenice über einen kleineren Anstieg auf einen Sattel geht und von dort hinunter nach Kranjska Gora und weiter hinunter nach Tarvis. Auf diese Vorstellung passt jedoch nur ein Wort: Irrtum.
Denn: Von Jesenice schmiert die Straße bis nach Kranjska Gora und sogar noch ein Stück weiter immer bergauf. Zwar sanft und niemals steil. Aber: Immer bergauf.
So haben wir das aber nicht im Kopf. Nach jeder Kurve und übersichtlichen Stelle endlich die Abfahrt erwartend, machen wir immer wieder dieselbe Erfahrung: Es geht weiter bergauf. An sich ist es ja schön, wenn es immer bergauf geht. Allerdings: Nur im übertragenen Sinne. Mit bereits mehr als 200k in den Beinen ist das hingegen ein denkbar ungeliebter Streckenverlauf.
Unsere nicht ganz druckreifen Kommentare spiegelten das recht eindeutig wider. Aber, wie das Leben so spielt, irgendwann nimmt das Leiden ein Ende. Konkret: Ab Jesenice gerechnet nach 23 Kilometern in Kranjska Gora. Grund genug, sich den berühmten Skiort anzusehen und ein letztes Mal auf einen Kaffee zu gehen.
Episode 6: Kranjska Gora und Tarvis. Kaffee, KGB und ein gemütlicher Abschluss
Kranjska Gora ist eine eigene Geschichte wert. Denn: Durch Zufall landen wir in einem Café, das dem Bruder von Žan Košir, dem slowenischen Top-Snowboarder und mehrfachen Medaillengewinner von Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften, gehört.
Und dieser Košir –Bruder, offenbar sehr an Sport interessiert, fragt gleich zu Beginn ganz interessiert nach: Wo wir herkämen? Ob wir Profis seien? Wo wir hin wollten? Wie lange wir bis hierher gebraucht hätten? Und so weiter.
Bei so viel geschenkter Aufmerksamkeit fühlen wir uns, ich sage es ganz ehrlich, ziemlich geehrt. Und wären wir nicht gar so konsequent und wäre die Pizza im Ziel in Tarvis nicht schon so präsent im Kopf, dann hätten wir alleine aus Dankbarkeit dafür bestimmt eine der herrlich-üppigen Riesentorten aus der Vitrine eingepackt. Und zwar direkt in unseren Magen. So aber halten wir uns zurück und schlürfen den super starken Espresso.
Interessierter, aber stiller Zuhörer, ebenfalls hinter der Bar: der Vater der beiden Košir-Brüder. Und wie uns der Lokalbesitzer erklärt, ein ehemaliger Eishockeycrack im jugoslawischen Nationalteam und bei Jesenice.
Des Vaters Interesse an uns lässt sich nicht genau bestimmen. Denn: Er sagt kein Wort. Und blickt finsterer als der härteste Gegenspieler von 007 auf Seiten des KGB. Aber das stört uns angesichts des freundlichen Sohnes und des guten Espressos nicht weiter.
Mit einem guten, koffeinreichen Gefühl im Magen machen wir uns schließlich auf die letzten knapp 20 Kilometer nach Tarvis. Diese fallen uns tatsächlich ziemlich leicht, denn die Jesenice-Steigung geht kurz nach Kranjska Gora endlich in eine Abfahrt über und so rollen wir gemütlich ins Ziel nach Tarvis, wo Davides Vater Wolfgang Schöggl bereits auf uns wartet.
Das gemeinsame Resümee: Super. Genial. Eine lässige Strecke. Das Wetter gehalten. Unfallfrei. Sturzfrei. Defektfrei. Und um unzählige Eindrücke reicher. Dass unter diesem Eindruck das Abendessen in Tarvis ein echter Genuss ist, erklärt sich von selbst.
Epilog
Mehr davon. Das ist unser wichtigstes Resümee nach dieser Fahrt. Mehr heißt: Spätestens im neuen Trainingsjahr werden wir uns wieder einige attraktive Point-to-Point-Fahrten aussuchen. Und durchziehen. Mehr wird an dieser Stelle aber noch nicht verraten.