OOBT-002: Out of the Box-Tour – Beitrag 001
Das Wort Wallfahrt stammt von wallen ab, was bedeutet, in eine Richtung zu ziehen. Im Vordergrund steht dabei das Ziel in Form einer Pilgerstätte. Im Gegensatz dazu steht im kirchlichen Wortgebrauch eine Prozession, bei der das Schreiten im Mittelpunkt steht und damit der Weg.
Diese beiden Aspekte zusammen genommen, verband ich mit meiner persönlichen Mariazeller Radfahrt beides. Denn: Neben dem Ziel in Form der Wallfahrtskirche Mariazell nahm die Überlegung über die Streckenwahl dorthin einen wesentlichen Platz in der Planung ein.
Es ist nämlich so: Es führen nicht nur alle Wege nach Rom, sondern gefühlsmäßig noch mehr nach Mariazell. Und: Es gibt eine ausgeprägte Tradition begeisterter südsteirischer Radsportler, diese Wege zu befahren und dabei die unterschiedlichsten Varianten auszuprobieren. Meine Variante ist mir auf Nachfragen bei routinierten Mariazell-Rad-Wallfahrern bislang noch nicht untergekommen. Für mich bedeutete meine Herbst.Rad.Wallfahrt.Mariazell. daher eine Premiere im doppelten Sinne: Erstens fuhr ich zum ersten Mal überhaupt mit dem Bike nach Mariazell und zweitens wählte ich dabei eine neue Streckenvariante.
Diese führte mich einerseits auf sehr direktem Wege vom Süden in Arnfels in den Norden nach Mariazell. Und gleichzeitig bot sie mir einige wunderschöne Anstiege und Pässe, die die Fahrt so richtig abwechslungsreich und anspruchsvoll machten.
Auslöser für das Projekt war meine Familie. Für meine Schwiegereltern ist es nämlich ein jährlicher Fixpunkt, mit der Pfarre nach Mariazell zu fahren. Heuer war dies im Sommer aufgrund der Belastung durch die Hitze nicht möglich. Und so bot ich an, diese Wallfahrt heuer anders anzugehen. Nämlich: Sie im Auto, pilotiert von meiner Frau Silvia. Und ich mit dem Bike hin und im Auto zurück.
Und um dem familiären Gedanken dieses Tages ganz zu entsprechen, bestand ein weiteres Ziel darin, das Mittagessen in Mariazell gemeinsam einzunehmen, und zwar so gegen 13 Uhr.
Das wiederum verschob meine Abfahrt in die sehr frühen Morgenstunden, konkret auf 5 Uhr, was bedeutete, dass ich die ersten 75 – 90 Minuten in nahezu völliger Dunkelheit absolvierte. Dies war einerseits ein erster richtiger Test meiner Ausrüstung für Nachtfahrten (u.a. Rapha-Sicherheitsgilet, Specialized Flux Expert-Vorderlicht, Standard-Blink-Rücklicht) und bescherte mir zudem eine völlig neue Raderfahrung. Denn: Bislang fuhr ich stets nur vom Tageslicht in die anbrechende Dunkelheit. Noch nie war ich bei völliger Dunkelheit gestartet.
Und siehe da: Beides funktionierte. Mit dem unglaublich starken Flux, das in Deutschland gar nicht für den Straßenverkehr zugelassen ist, sah ich bestens und anhand der Fahrweise der Autofahrer, welche immer sehr großen Abstand zu mir hielten und mich nie anhupten o.ä. vermute ich, dass ich von diesen aufgrund des Rücklichts, der Sicherheitsweste und des großen Lichtkegels vor mir von weitem gesehen wurde.
Abgesehen davon eröffnet eine Nachtfahrt für sich genommen eine völlig neu Erfahrung des Radfahrens. Da das Sichtfeld stark eingeschränkt und damit die Ablenkung durchs Betrachten der Umgebung auf ein Minimum beschränkt ist, konzentriert sich die Wahrnehmung aufs Hören und Fühlen. Das Surren der Kette und Räder ebenso wie das Gefühl des Kurbelns und der Beinbewegungen werden wesentlich intensiver wahrgenommen als tagsüber. Ebenso verhält es sich mit den Geräuschen in der Umgebung. Das alles ergibt in Summe ein Gefühl des Dahingleitens oder Fliegens, ein Erleben, geradezu mystischen Ausmaßes. Nachmachen unbedingt empfohlen.
Streckenmäßig suchte ich von Arnfels den direkten Weg nach Breitenau am Hochlatsch, weil ich von dort über alle Berge nach Mariazell fahren wollte. Und alle Berge von dort aus bedeutet genau drei: Erstens, den Eibeggsattel, eine herrlich angelegte einspurige Asphaltstraße von Breitenau nach Allerheiligen im Mürztal. Zweitens, den Pogusch von St. Lorenzen im Mürztal nach Turnau. Und drittens, den Seeberg, von Turnau nach Gusswerk und Mariazell.
Auf dem Weg nach Breitenau legte ich nach genau drei Stunden Fahrzeit eine kleine Rast am wunderschönen Frohnleitener Hauptplatz ein und gönnte mir dabei einen Kaffee sowie ein Schinkenbrötchen bei der Konditorei am Platz, dem Flössl. Und am Fuße des Pogusch frühstückte ich nach knapp fünf Stunden Fahrzeit in der Bäckerei Pesl. Der Pesl ist ohnehin ein Fixpunkt, wann immer es mich ins Mürztal verschlägt. Sowohl das Gebäck (keine Fertigmischungen, alles eigene Rezepte) als auch der Illy-Espresso verdienen 5***** und machen den Besuch zu einem echten Genusserlebnis.
Die weitere Fahrt war getragen vom herrlichen Gefühl des Immer-Näher-nach-Mariazell-Kommens und den tollen Anstiegen und Abfahrten am Pogusch und Seeberg. Dementsprechend schön und emotional war dann die Einfahrt auf den Mariazeller Hauptplatz mit der alles überragenden Basilika. Und dem dazugehörigen Menschengewusel zwischen den Kitschläden und Gasthöfen rund um die Kirche. Es ist ein Gegensatz, der aber das Geschehen rund um so eine prominente Pilgerstätte erst zur Einheit macht. Und somit zum Betrachten, zum Verweilen und Wirkenlassen einlädt.
Und nicht zuletzt: Das gemeinsame Mittagessen mit der Familie ging sich optimal aus. Nach genau siebenstündiger Fahrzeit für die ca. 175 Kilometer und den zwei Pausen war ich um ca. 12:45 Uhr in Mariazell. Sogar die Kreuzsegnung um 14 Uhr war dann ohne Stress noch drinnen.
Der Ausblick: Nachdem Wallfahrten ja Regelmäßigkeits-Charakter besitzen, schwebt mir schon eine Erweiterung meiner Berg- und Talfahrt nach Mariazell vor. In der Königsetappen-Variante wäre dies die Fahrt nach Stattegg und von dort über Fuß der Leber nach Semriach und den Arzberg, von dort auf die Teichalm und von der Teichalm hinunter nach Breitenau am Hochlantsch. Der Rest ist bekannt.
In meiner aktuellen Form würde ich mir diese Fahrt noch nicht zutrauen, zumindest nicht als Genussfahrt. Aber wer weiß: Wenn der Wettergott über den Winter wieder einige Grundlagenkilometer zulässt, könnte es im späten Frühjahr des nächsten Jahres so weit sein. Falls jemand von den Lesern dieses Beitrags diese Strecke vorab befährt, bitte ich um Fahrerlebnisse und -berichte. Würde mich freuen, wenn ich den Anstoß zu einer solchen Unternehmung gegeben hätte.
Anbei noch der Strava-Link zu dieser Tour: www.strava.com/Mariazell