T004: Typen – Beitrag 004

Die Razorblade SL-Rahmen kommen erst Ende April/Anfang Mai. Zugesagt waren sie für Ende Jänner/Anfang Februar. Meine Jungs rotieren schon. Die ersten Rennen sind im April. Es ist unglaublich, was ich aktuell mit Lieferverzögerungen mitmache.

Günther Jangers Augen weiten sich, während er vom aktuellen Lieferverzug erzählt. Sie unterstreichen das Gesagte und vermitteln mir als Zuhörer eine laute, eine ganz laute Botschaft: Hier ist einer mit Leidenschaft am Werk. Und zwar mit voller Leidenschaft.

Das Besondere daran: Günther Janger ist 73. Er führt sein Radsportgeschäft seit mehr als 35 Jahren. Er ist eine Legende. Als Sportler. Und als Geschäftsmann. Anbei ein skizzenhaftes Zwischenresümee seines bisherigen Lebens.

Vom Puch Häusl zum Favoritenschreck auf der Rallyepiste

Wir fuhren in der Nacht. Ganz oben am Plesch war eine Kuppe. Ich hob ab, die Scheinwerfer zeigten in die Finsternis. Harte Landung, gleich darauf Rechtskurve und dann Haarnadel nach links. Ich bin ein fotografischer Typ, habe mir die Strecken immer ganz genau gemerkt und habe viele davon noch heute im Kopf. Erst recht meine Hausstrecke. Als wir unten in Geistthal ausgestiegen sind, war er kreidebleich, hätte sich nie vorstellen können, dass man mit einem Auto auf Schotter so bergab fahren kann. Vor lauter Schreck zündete er sich als erstes eine Zigarette an.

Wir schreiben die frühen 70iger Jahre. Günther Janger erzählt von einer Trainingsfahrt im Rallyeauto mit einem Bekannten, einem Zeitungsredakteur,  über den Pleschkogel von Gratwein nach Geistthal. Wieder unterstreichen seine Augen jedes Wort. Sie funkeln vor Begeisterung.

Günther Janger war damals im nationalen Rallyesport eine richtig große Nummer. Und international ebenso. Hantelte sich vom ersten Puch 500, den er schmunzelnd sein „Puch Häusl“ nennt und mit dem er sogar die Rallye Monte Carlo in Angriff nahm bis ihm die Lichtmaschine einen Strich durch die Rechnung machte, zum VW Werksfahrer hoch. Doch damit nicht genug.

1972 Rallyestaatsmeister und 7. der EM matchte er sich mit den ganz großen Namen der Szene: Björn Waldegard (Porsche), Simo Lampinen (Saab), Sandro Munari und Hakan Lindberg (beide Lancia), Achim Warmbold (BMW) oder Jean Todt (ehemals Ferrari-Teamchef, heute FIA-Präsident). Und er matchte sich nicht nur mit ihnen, sondern ließ sie mitunter sogar eiskalt stehen. So zum Beispiel auf seinem Hausberg. Dem Plesch.

1972, Heimetappe der so genannten Alpenfahrt mit der Sonderprüfung vom Stift Rein über den Plesch nach Geistthal auf einem 123 PS starken Käfer 1303S. Eh schon wissen. Kuppe, Sprung, Rechtskurve, Haarnadel links, und so weiter.

Das Ergebnis: Saisonhighlight. Bis heute unvergessen. In der Szene. Und bei allen, die damals dabei waren.

Ich musste die Zeit bergab machen, denn ich hatte 40 PS weniger unter der Haube als die Konkurrenz. Doch das hatte ich eh trainiert.

Wieder ein Schmunzeln. Das Ergebnis muss ich in der Zeitung nachlesen. Günther Janger ist zu bescheiden, gibt damit nicht an. Er ließ damals die gesammelte Weltelite mehr als 10 Sekunden hinter sich. Ließ auf seiner Heimsonderprüfung nichts anbrennen.

Ebenso wenig wie bei seinem Einstieg in das Geschäft mit Mountainbikes. Er war österreichweit einer der ersten, der diesen Trend nicht nur erkannte, sondern daraus etwas machte.

Der Radsportladen in Gratwein: ein Stück österreichischer Mountainbike-Geschichte

Mountainbikes. Günther Janger sitzt nach wie vor mehrmals wöchentlich auf einem. Aktuell auf einem Specialized S-Works Epic, das er bergab auch heute immer noch schneller bewegt als 90% aller ambitionierten Mountainbiker aller Altersgruppen in und rund um Graz. Aus dem Rezept dafür macht er kein Geheimnis: Nicht Brutalität ist wichtig, sondern rund, weich und trotzdem schnell zu fahren. Immer die Linie finden. Einen Strich fahren. Das habe ich vom Rallyesport übernommen und es bis heute mit dem Mountainbike so gehalten. Zwischen Rezept und Umsetzung freilich liegen zweierlei: Talent und Bereitschaft zum Training.

Zwei Eigenschaften also, die sich Günther Janger bereits im Rallyesport zunutze machte und auf die er auch im Mountainbikesport setzte. Überhaupt sind es die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Sportarten, die Günther Janger das Mountainbike so rasch ans Herz wachsen ließen. Denn: Sportliche Affären hatte er zuvor zur Genüge.

So zum Beispiel als einer der ersten Triathleten der Steiermark. Der Trainingsaufwand war mir neben Geschäft und Familie zu groß. Oder als Straßenrennfahrer in der Masters-Kategorie. Oder als Marathonläufer beim New York-Marathon im Team mit Sepp Resnik (ehemals Hawaii-Ironman-Finisher, heute Konditrainer von Dominik Thiem), Herbert Paierl (Unternehmer, ehemals Wirtschaftslandesrat in der Steiermark), Gerhard Nöhrer (Redakteur Kleine Zeitung) und anderen.

All das verblasste, als das Mountainbike aufkam. Denn: Das Mountainbiken war wie Liebe auf den ersten Blick. So sprang Günther Janger bereits in den 80igern auf den aus den USA nach Europa überschwappenden Trend auf und machte Gratwein damit zu einer der Wiegen des österreichischen Mountainbike-Sports.

Und wie im Rallyeauto und auf dem Mountainbike, so verfolgt Günther Janger auch als Geschäftsmann stets an eine glasklare Linie:

  • Er nahm sich von Anbeginn an nur die Topmarken ins Geschäft. Das waren damals die US Ikonen Marin, GT, Specialized und Cannondale. Heute sind es u.a. Specialized, Simplon und Merida.
  • Er verkaufte kein Bike ohne intensivste Beratung. Und diese besteht bis heute darin, immer das optimale Bike für den jeweiligen Kunden zu finden.
  • Er war und ist für seine Kunden und deren Anfragen immer auf dem aktuellsten Stand der Technik. Bis heute kein Trend, den Günther Janger nicht kennt. Und über den er nicht mit seinen Kunden, die selbst durch die Bank echte Feinspitze sind, auf Augenhöhe diskutieren kann.
  • Die allermeisten seiner Meinungen untermauert er mit echter Eigenerfahrung. Kaum ein neuer Reifen, Rahmen, eine Schalttechnik oder ein neues Laufradformat, das er nicht längst vor seinen Kunden ausgiebig testet.
  • Und das Gleiche verlangt er auch von seinen Beratern und Technikern. Wir haben bei unseren Angestellten immer darauf geschaut, dass diese selbst im Sport aktiv sind.

Das skizzierte Erfolgsrezept führte dazu, dass Günther Janger den Radsportbereich des ursprünglich integrierten Auto- und Zweiradgeschäfts in den 70igern erfolgreich abspalten konnte. Er blieb mit seinem Geschäft im Gratweiner Zentrum und sein Bruder siedelte mit dem Autogeschäft an den Ortsrand.

Doch damit nicht genug: Günther Jangers Geschäft war nicht nur ein Radsportladen. Es war über viele Jahre und Jahrzehnte DAS Mekka steirischer Radsportfreaks. Im Mountainbike-Segment gab es damals in der Steiermark keine vergleichbare Anlaufstelle für die besten „Parts“ und „Frames“. Und Internet spielte es damals nicht. Wenn man also die begehrten Teile aus den ersten Mountainbike-Fachmagazinen in natura sehen wollte, standen die Chancen dafür bei Günther Janger am besten.

Für mich, der ich Mitte der 90iger Jahre mit Riemenpedalen und einem Marin Nail Trail auf den Mountainbike-Zug aufstieg, war „der Janger“ in den ersten Jahren des Sports so etwas wie eine Fata Morgana. Ich hörte die Geschichten von Besuchen befreundeter Biker. Ich erfuhr von diesen über die neuesten Specialized oder Cannondale Bikes, Tune-Naben oder Chris King Steuersätze, die es dort live zu sehen gab. Doch das alles führte nur dazu, dass ich als damaliger Student nicht einmal auf die Idee gekommen wäre, dorthin zu pilgern. Viel zu hoch hängend erschienen mir die wunderbaren Früchte dieses geschilderten Radsportparadieses.

Kult: das Janger-Rennteam

Und noch etwas flößte mir als Newcomer in der Szene größten Respekt ein: „die Janger-Fahrer“. Gemeint sind die damaligen Fahrer des Teams rund um Richard Zinthauer, die auf ihren Top Geräten – ich werde nie vergessen, wie sehr ich Richard Zinthauer um seine Cannondales beneidete – die steirischen Lokalderbys dominierten. Und wie ich heute weiß, erging es nicht nur mir so. Dutzende Rennfahrer wollten damals und wollen bis heute nur eines: „Beim Janger fahren“.

Eine Entwicklung, die sich ergab. Die Günther Janger niemals bewusst zum Ziel hatte.

Wir waren ursprünglich eine Wochenend-Bike-Gemeinschaft. Das Rennteam ist aus ganz gewöhnlichen Samstagsausfahrten heraus entstanden. Als wir eine ziemlich stabile Gruppe waren, bestellten wir erstmals einheitliche Trikots. Und daraus ergab sich dann das Rennteam.

Wir waren und sind bis heute eine Interessensgemeinschaft und wir sind immer organisch gewachsen. Das heißt, wir warben nie Leute ab oder an. Die Rennfahrer kamen zu uns, weil sie sich bei uns wohl fühlten. Bei den Rennen traf man sich, tauschte sich aus, unterstützte sich gegenseitig. Es ging mir immer darum, dass wir uns als Team, als Gemeinschaft fühlten. Das ist bis heute so und das ist mir sogar wichtiger, als Siege.

Ein Zugang, der sich bewährte und bewährt, denn unter den zahlreichen Rennfahrern, die das Janger-Trikot bis heute übergestreift haben, finden sich absolute Spitzenfahrer wie Hanspeter Obwaller, Jure Golcer, Georg Koch, Richard Zinthauer oder David Schöggl.

Günther Janger legt großen Wert auf den Hinweis, dass er seinen Fahrern nie Gagen zahlte, sondern immer nur Material zur Verfügung stellte und das Nenngeld für die Spitzenfahrer bestritt.

Die eigene Bike-Karriere

Wer dieses Portrait bis hierher gelesen hat, wird nicht überrascht sein, dass auch Günther Janger selbst viele Jahre lang Startnummern an seine Bikes heftete. Sein erstes Bikerennen bestritt er in den frühen 90igern und bis 2002 blieb er aktiv in der Rennszene verankert.

Die Frage nach den eigenen Karrierehöhepunkten im Mountainbike-Sport ist wieder so ein „Blick-Moment“. Ein Moment, in dem sich Günthers Augen weiten und damit das Erzählte unterstreichen und so richtig lebendig werden lasen.

Ich fuhr mit Michl Haas zweimal die Transalp. 2000 und 2001. Einmal wurden wir 10. und einmal 13. in der Masters-Kategorie. Wobei: Damals gab es noch keine Grand Masters-Klasse, sondern nur eine Masters-Klasse für alle über 30. Und wir waren eines der ältesten Teams am Start.

Die Freude darüber blitzt nur so aus Günthers Augen. Und flößt mir, der ich nicht annähernd etwas Vergleichbares zu Buche stehen habe, den allergrößten Respekt ein.

Die geschäftlichen Karrierehöhepunkte

Geschäftlich bezeichnet Günther Janger den Ausbau seines Geschäfts 1998 als ganz besonderen Höhepunkt.

1998 setzte ich um, was ich mir lange überlegt und was ich lange geplant hatte. Wir bauten unser Geschäft auf der gegenüberliegenden Straßenseite am bestehenden Geschäftsstandort aus.

Mein Dilemma bestand darin, dass wir dringend mehr Platz benötigten, denn wir verkauften pro Jahr ca. 1500 Räder. Gleichzeitig wollte ich am ursprünglichen Standort bleiben und nicht auf die grüne Wiese wechseln.

Ich lege bis heute großen Wert darauf, alles im Überblick zu behalten. Nur so kann ich sicher sein, dass meine Qualitätsvorstellungen in der Beratung und im Kundenservice umgesetzt werden. Für mich war in der Planung ganz wichtig, nicht durch eine zu umfassende Geschäftsausweitung den Kontakt zu meinen Kunden zu verlieren. Denn: Wenn wir gesehen haben, dass etwas nicht gepasst, hat, dann haben wir es geritzt. Und so ist das bis heute.

Als ich gesehen habe, dass der Ausbau funktioniert und das neue Geschäft weiterhin zu uns passt, war ich so richtig zufrieden.

Zufrieden ist Günther Janger auch heute. Das Geschäft geht gut. Und das in Zeiten von Versandhändlern, in Zeiten wesentlich stärkerer Konkurrenz in der Steiermark und in Zeiten allgemeiner politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit. Bislang hat Günther Janger alle diesbezüglichen Hürden bestens gemeistert.

Ich war immer zuversichtlich, dass es gut gehen wird. Bis heute. Wobei: So schwer wie heute war es für uns stationären Händler noch nie. Die Hersteller bringen immer mehr Modelle und Standards auf den Markt. Der Kunde erwartet, dass wir alles im Geschäft haben. Doch selbst wenn man bereits im Sommer des Vorjahres alles ordert, und wenn man das nicht macht, bekommt man ohnehin nichts, muss man immer wieder mit Verzögerungen rechnen, die weit ins neue Jahr hinein reichen. Manchmal ist es schon zum Verzweifeln.

Da ist er wieder. Dieser lebendige Blick. Der besagt: Es mag schwierig sein, aber es findet sich ein Weg. Und so wird Günther Janger für seine Rennfahrer eine Lösung finden, rechtzeitig zu wettkampftauglichen Material zu kommen. Lieferverzug hin oder her. Geht nicht gibt’s nicht. Nicht für Günther Janger. Und erst recht nicht mit 73 Jahren. Denn: An Ruhestand denkt einer wie er nicht: „Wenn ich nicht immer noch unverändert Spaß dran hätte, wäre ich längst in Pension.“

 

Übrigens: Nach einigen erfolgreichen Jahren als Mountainbiker beim damaligen Team Bianchi war es auch für mich eine große Ehre, für Günther Jangers Team zu fahren. Und selbst wenn ich mittlerweile keine Rennen mehr bestreite, ist der kleine überschaubare Laden in Gratwein bis heute mein persönliches Radsport-Mekka geblieben. Weil für mich dort alles passt. Und weil der Laden mit Günther Janger ein Stück steirischer, ja österreichischer Radsportkultur darstellt.

 

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