OOBT-012: Out of the Box-Touren – Beitrag 012
Wer macht da ein Foto? Erich Holler springt sprichwörtlich ums Eck, als ich gerade ein Bild vom Kaufhaus Rössler in Sajach, dem nördlichsten von vier Dörfern in meiner Heimatgemeinde Gabersdorf, mache. Ein Bild deshalb, weil es so ein Geschäft, so eine echte Greißlerei wie diese, eigentlich in Österreich nicht mehr gibt. Ein Bild auch deshalb, weil ich schon so oft vorbei gefahren bin und immer ein Bild machen wollte. Und dann doch nicht stehen geblieben bin. So auch diesmal. Ich war schon vorbei und dachte mir, Bild! Nächster Gedanke: Nächstes Mal. Und plötzlich habe ich umgedreht. Stehe vor dem Haus. Mache ein Bild. Und dann springt Erich Holler ums Eck.
Eigenartig, denke ich mir. Es überrascht mich überhaupt nicht, dass gerade Erich jetzt, am Gründonnerstag am Vormittag, hier beim Rössler, ehemals Huss, ist und ums Eck springt. Heh, ein ganz seltener Gast. Was machst du da? Komm rein, mach eine Pause! Lässt mir Erich keine Wahl. Eigentlich bin ich ja erst eine knappe Stunde auf dem Weg. Von Arnfels über alle Hügel und Gräben nach Bad Radkersburg. Pause noch nicht eingeplant. Aber: Jetzt muss sie sein.
Erstens, weil ich seit langem wieder einmal meinen langjährigen rechten Außendecker in der Gabersdorfer Kampfmannschaft treffe. Kurzer Rückblick: Ich war Tormann. Erich Außenecker. Und damals gab es noch Außendecker. Und zwar solche, die noch echte Manndecker waren. Denn: Verschieben und Raumdeckung waren damals unbekannt. Ein Spiel nach vorne für Verteidiger verboten. Undenkbar. Die Aufgabendefinition war schlicht und einfach: Du bist Manndecker. Mit allen Mitteln. Und wenn ich sage, Erich war ein guter Außendecker, dann heißt das, er kannte viele Mittel.
Also: Pause musste sein, weil erstens: Erich. Und zweitens, weil ich aus Kindheitserinnerungen weiß, dass es bei Rösslers so ist wie bei Alice im Wunderland im Hasenbau. Hinter der Eingangstüre liegt eine andere Welt. Physisch und emotional.
Und genau so ist es auch. Erich Holler nimmt gerade seine Vormittagsjause ein. Braunschweiger. Dazu Gabersdorfer Kornbrot, das mittlerweile in Wagna hergestellt wird, weil es die Gabersdorfer Bäckerei nicht mehr gibt. Und Buttermilch.
Auf ein Bier will er sich auf gar keinen Fall einladen lassen. Gründonnerstag?, frage ich. Ja, genau, antwortet er. Und die Braunschweiger?, frage ich. Das frage ich mich auch gerade, antwortet er. Komm schon, zur Braunschweiger gehört ein Bier. Ich lade dich ein, lasse ich nicht locker. Lädst mich halt auf die Buttermilch ein, bleibt Erich hart. Eigentlich gut so. Denn immerhin haben wir beide nicht nur gemeinsam die Gabersdorfer Abwehr stabilisiert, sondern auch als Lektoren der Gabersdorfer Pfarre gedient. Und zu Ostern u.a. gemeinsam mit dem Pfarrer die Passion vorgetragen. Schön, dass Erich immer noch seine christlichen Prinzipien hat. Gründonnerstag. Erster Fasttag. Langsam angehen. Braunschweiger ja. Bier nein.
Schön auch, dass Erich seiner, unserer Heimatgemeinde immer noch so verbunden ist. Er lebt Gabersdorf mit jeder Faser seines Körpers, so kommt es mir vor. Und so treffe ich Erich fast immer, wenn ich selbst mal in Gabersdorf unterwegs bin. Sei es in der Teichstube in Gabersdorf, sei es beim Karpfenwirt in Neudorf. Bei der Arbeit auf seinem Hof. Am Sportplatz. Oder eben jetzt beim Rössler. Kein Wunder also, dass es mich nicht wundert, Erich hier und heute zu treffen.
Bevor ich mir aber darüber weitere Gedanken machen kann, schreitet Christl Rössler ein. Und lanciert einen Überraschungsangriff: Iss a Braunschweiger und a Gabersdorfer Brot, du bist eh so dünn. Und du warst schon so lange nicht mehr hier. So nimmt die Pause ihren Lauf. Herrlich. Gabersdorfer Kornbrot und Braunschweiger. Was gibt es besseres?
Gedanklich rasen während dessen tausende Bilder durch meinen Kopf.
Huss/Rössler. Es war für mich immer ein Festtag, wenn ich meine Mutter zum Einkaufen begleiten durfte. Damals noch bei Frau Huss, der Mutter von Christl Rössler. Denn, obwohl es damals in den 80-igern noch mehr solche Läden gab, so übte diese Vielfalt und wunderbare Anordnung an Waren, der Mix von Düften und Eindrücken schon damals eine ungeheure Faszination auf mich aus. Selten, dass ich ohne ein kleines Extra aus diesem Laden heraus zu bekommen war. Meistens gab es ein Eis (Jolly oder Twini), oder eine Schoko (Benstop) und manchmal sogar einen coolen bunten Plastikball. Ich liebte den Geruch dieser neuen Plastikbälle. Und spielte damit so lange, bis ihnen oder mir die Luft ausging.
Dann bringt Christl das Gespräch auf meinen Vater. Erzählt, wie gerne er hier war. Er, der selbst bis zum 74-iger Jahr in Neudorf, meinem Heimatdorf und Nachbarort, mit meiner Mutter eine kleine Greißlerei führte. Immer, wenn er hier war, half er mir Salz abzufüllen. Viertel- und Halbkilo-Sackerln. Das musste ganz präzise sein. Keine Falte war erlaubt. Erzählt Christl, und hat plötzlich Tränen in den Augen. So wie ich.
Themenwechsel erforderlich: Und hat er sich nicht immer bei dir seine weiße, gerippte Huber-Unterwäsche bestellt? Ja, genau. Christl schmunzelt. Und Erich bezahlt. Mein Arbeiter kommt, ich muss los. Erklärt er trocken. Lässt sich die restliche Braunschweiger und das Brot einpacken, zieht los und gibt mir mit auf den Weg: Super, dass wir uns gesehen haben. Lass‘ dich öfter anschauen in Gabersdorf. Ja, klar. Sage ich. Und weiß: Mein ehemaliger Außendecker hat recht. Ich muss öfter durch Gabersdorf fahren und jedenfalls beim Rössler eine Pause einplanen. Vorbei fahren geht gar nicht mehr.
Als ob Christl meine Gedanken gelesen hätte, gibt sie mir zum Abschied einen Rat mit auf den Weg: Wenn der Rollbalken an der Eingangstür unten ist, ist zu. Wenn er oben ist, die Türe aber abgesperrt, dann bin ich irgendwo in der Nähe. Dann klopfe oder warte ein bisschen. Fahr‘ nicht gleich weiter.
Und genau so werde ich es machen. Die restliche Fahrt über St. Nikolai/Draßling, Mettersdorf, St. Peter/Ottersbach, Straden, Halbenrain nach Bad Radkersburg absolviere ich unter den herrlichen Eindrücken dieser Pause.
Gabersdorf. Neudorf. Sajach. Huss/Rössler. Fußballmannschaft. Erich. Die Passion. Mein Vater. Es ist wunderschön, solche Wurzeln zu haben. Und gerade in der Karwoche daran erinnert zu werden.