OOBA-010: Out of the Box-Allgemein – Beitrag 010
Ist das heute nicht einer der strengsten Fasttage im Jahr? Und hier sitzen alle um die Bar herum und besaufen sich? Fragt ein Gast am Karfreitag schmunzelnd in unserem Urlaubsdomizil und bestellt für sich und seine Frau zwei Achterl Wein. So wie meine Frau und ich, die an der Bar sitzend ebenfalls einen kräftigen Rotwein genießen.
Ähnlich ein Gesprächsfetzen am Morgen beim Frühstücksbüffet. Speck mit Ei? Fragt die Köchin an der Theke für alle Eier-Speisen. Ja, bitte, sagt ein anderer Gast. Eigentlich dürfte man heute ja nicht, aber wir sind im Urlaub. Ach, wer kümmert sich da heute noch darum? Meint die Köchin wohlwollend dem Gast gegenüber. Und will ihm wohl den Anflug des schlechten Gewissens nehmen.
Das Gefühl, fasten zu müssen. Es ist anscheinend tief in uns drinnen. Fasziniert uns noch immer. Insbesondere in der Karwoche.
Fasten. Ich habe im vergangenen Sommer im Kloster Pernegg den Selbstversuch gewagt. Und gerade jetzt in der Karwoche, in der ich vom Fasten gerade ganz weit weg bin, denke ich viel an diese Woche zurück. Ans Kloster, ans Radfahren, an die Weiten des Waldviertels und an die Faszination des Fastens. Dessen Auswirkungen ich bis jetzt spüre.
Anziehen. Beeindrucken. Behexen. Berauschen. Betören. Bezaubern. Blenden. Elektrisieren. Erregen. Fesseln. Gefangen nehmen. Imponieren. Interessieren. Mitreißen. Packen. Verlocken. Verzaubern.
All das sind laut Duden Synonyme für das Wort faszinieren. Somit entfaltet das Fasten, wenn man sich darauf einigen kann, dass es fasziniert, sehr viele Wirkungen auf uns.
Kein Wunder also, dass gerade der Fastenaspekt der Karwoche so stark spürbar ist. Denn: Von der Auferstehung und vom Wunder des ewigen Lebens habe ich hier im Hotel all die Kartage über niemanden sprechen gehört. Karwoche ist Fasten. Bevor der Osterhase die Eier und den Schinken bringt. Und die neuen iPhones.
Von der Gestalt, die alle Wesen bindet, befreit der Mensch sich, der sich überwindet. (J. W. v. Goethe)
Es ist ein Spontanentschluss. Tu etwas für dich, nimm dich einmal eine Woche raus, das wird dir gut tun. Empfiehlt meine Frau inmitten eines dichten und terminreichen Frühjahrs des letzten Jahres. Und sie trifft damit wohl einen guten Zeitpunkt, denn ich gehe ins Netz, erinnere mich an den Tipp von Pernegg, den ich einige Wochen zuvor von einer mir eigentlich kaum bekannten Person in einem oberflächlichen Gespräch über Gesundheit und Sport erhalten habe, finde prompt eine Woche, die genau in meinen Sommerplan passt und buche. Erzähle das kurz meiner Frau, die OB der kurzfristigen Umsetzung ihres Tipps etwas erstaunt dreinschaut und vergesse bald wieder darauf.
Bis. Ja bis sich etwa zwei Wochen vor dem Termin die Erinnerung einstellt. Angestoßen von einer E-Mail mit detaillierten Informationen zur Fastenwoche. Details hier nicht angebracht. Utensilien für Einläufe usw. -abschreckend. Vielleicht hätte etwas mehr an Vorinformation doch gut getan, denke ich mir. Zweifel stellen sich ein.
Na bumm. Schießt es mir immer wieder durch den Kopf. An meine vier bis sechs täglichen Kaffees denkend. An die Magnums, die ich damals gerade wieder einmal mehrmals wöchentlich genieße. Von den Aperols ganz zu schweigen.
Na bumm. Schlimme Vorahnungen tun sich auf. Bilder eines schwachen, Hungernden Selbst, einsam abgelegt in einer Klosterzelle. Die Minuten zählend, bis es wieder etwas zu essen gibt. Aber: Absagen? Nein. Geht gar nicht. So viel Stolz muss sein. Da gibt’s nur eins: durch.
Jeder kann zaubern, jeder seine Ziele erreichen, wenn er denken kann, wenn er warten kann, wenn er fasten kann. (Hermann Hesse)
Ein Lichtblick findet sich im erwähnten Einladungsschreiben. Und zwar, dass man ein Rad mitnehmen, dass man in der Woche viel Bewegung machen soll. Hoffnung keimt auf. Vielleicht verbleiben in dieser Woche des Ausharrens ja doch wenigstens so viele Lebensgeister, dass ich ein wenig Radfahren kann. Dann wäre die Zeit gut genützt. Wenn man denn schon eine Woche zum Nichtstun und Nichtsessen verurteilt ist.
Und dann sticht mir beim Eintreffen in Pernegg eine Wand mit Aussagen ins Auge. Wie oben von Goethe oder Hesse. Und wie ich unten noch andere anführen werde. Da bin ich plötzlich fasziniert.
Fasten. Nicht nur ein Geißeln des Körpers, sondern eine Angelegenheit des Geistes? Zugegeben. Das habe ich natürlich schon vorab einmal zu diesem Thema aufgeschnappt. Aber es war sehr weit weg von mir. Sehr weit. Und jetzt ist es plötzlich ganz nahe.
Wer jetzt auf die von mir selbst befürchteten Leidensgeschichten wartet, der wird enttäuscht sein. So wie ich überrascht war. Wobei die Überraschung schon vor dem Fasten begann. Konkret, bei der Anfahrt von Arnfels nach Pernegg. Gute dreieinhalb Stunden Fahrzeit.
Autofahren und Coffee to Go ist für mich nämlich eins. Insbesondere wenn die Fahrt länger dauert als eine halbe Stunde. Im Alltag kommt es immerhin manchmal vor, dass ich von Arnfels nach Graz fahre, ohne mir beim McD einen Doppelten Espresso mit einem Extra Shot zu besorgen. Aber nur manchmal. Eher selten, um genau zu sein.
Fasten heißt, sich weigern, in Materie zu ersticken, sich von allem Überflüssigen zu verabschieden. (Phil Bosman)
Bei der Anfahrt nach Pernegg hingegen. Nichts. Wasser. Und sonst nichts. So lautet eine der Vorgaben zu den Entlastungstagen vor dem Fasten. Reduzieren Sie in den Tagen vor der Fastenwoche sukzessive den Konsum von Alkohol, Kaffee, Fleisch und Süßigkeiten. Und daran halte ich mich. Motto: Nützt ja nichts. Wer A sagt, …
Das Verwunderliche: Mir macht es nichts aus. Völlig emotionslos fahre ich an allen McDs und sonstigen Kaffeetankstellen vorbei. Was mir schon irgendwie komisch vorkommt.
Und dann in Pernegg. Ganz das Gleiche. Hunger? Fehlanzeige. Weder am ersten, noch am zweiten, noch an irgendeinem der folgenden Tage. Ich, der ich normal keine zwei Stunden ohne Zwisxhenhappen aushalte, bin plötzlich völlig ohne Hungergefühl. Phantastisch. So billig ist Freiheit, denke ich mir. Ohne es erklären zu können.
Fasten und Radsport. Wie geht das zusammen? Das ist die nächste Überraschung für mich. Denn: So richtig konnte ich es mir nicht vorstellen, dass ich nach ein bis zwei Tagen ohne essen noch Radfahren würde können. Erkenntnis: Nächste Fehlanzeige.
Ich nehme es es von Tag zu Tag. Samstag Anreise. Sonntag erste Ausfahrt. Ziel: zwei Stunden. Umgesetzt: zwei Stunden. Montag: erster richtiger Fasttag. Start um 6:30 Uhr in der Früh. Ziel: Eine Stunde. Umgesetzt: zwei Stunden. Weil es so schön ist. Und so geht es weiter.
Jeden Tag wache ich ohne Wecker um 6 Uhr mit dem Glockengeläut der Klosterkirche nebenan auf, fühle mich gut und sitze um Punkt 6:30 Uhr auf dem Bike. Jeden Tag nehme ich mir wenigstens eine Stunde vor. Und jeden Tag fahre ich dann zwei Stunden. Bis auf Donnerstag und Freitag. Da fahre ich 2,5 und drei Stunden. Weil es so schön ist. Und weil ich plötzlich richtig viel Energie habe. Nach fünf Tagen ohne Essen.
Ein ganz großes Licht, das mir dabei aufgeht, ist, wie effizient unser Körper arbeitet. Wie er mit der vorhandenen Energie haushalten und diese bestens einsetzen kann. Kurz: Wie viel man körperlich leisten kann, ohne zu essen. Phantastisch.
Klarstellen möchte ich in diesem Zusammenhang aber schon so viel: Mein Stundenschnitt bei den Ausfahrten ist bescheiden. Unter 25km/h. Aber Probleme mit der Ausdauer oder Energie habe ich nie. Fettstoffwechseltraining in Reinkultur, sozusagen.
Gewichtsmäßig geht natürlich einiges weiter. Minus sechs Kilogramm lautet die Bilanz nach der Woche. War zwar nicht meine Absicht, weil ich nicht aus Gewichtsgründen zum Fasten ging, nehme ich aber gerne mit. Fühle mich wie eine Bergziege nach dieser Woche. Wobei: Rennen hätte ich gleich anschließend keine fahren dürfen. Dafür hätte ich doch zu viel Substanz im Kloster gelassen. Aber die normalen Ausfahrten zu Hause fühlen sich super an.
Positiv für mich: Ich nahm von den verlorenen 6 Kilogramm bis heute nur mehr etwa die Hälfte zu. Und dementsprechend fühle ich mich. Sowohl auf dem Bike, als auch im Alltag. Riesengewinn, dieser Gewichtsverlust kann ich nur sagen.
Fasten macht visionäre Erlebnisse möglich. Es öffnet die Pforten der Wahrnehmung. Ästhetisch und spirituell wertvolles Material dringt in das Bewusstsein ein. (A. Huxley)
Ja, und dann wäre da noch etwas. Das Eigentliche des Fastens sozusagen. Die Wirkungen auf den Geist. Und sie Seele. Nun, dazu so viel: Es tut sich tatsächlich einiges. Und es tut sich von selbst. Ich muss weder meditieren. Noch muss ich mir Gedanken machen. Sowohl die Gedanken als auch die damit verbundenen Emotionen kommen von selbst. Sie kommen intensiv. Und ich muss sie nur mehr wie Äpfel von weit herunter hängenden Ästen pflücken. So etwas habe ich tatsächlich noch nie erlebt.
Die Ernte einer solchen Fastenwoche, und das abschließend, ist somit reichhaltig und sie ist bei mir auch nachhaltig. Ziele, persönliche Ausrichtungen, über denen ich vorher zu Hause oft brütete, ergeben sich von selbst und manifestieren sich seither.
Zug um Zug treten Dinge ein, die in Pernegg aufgepoppt waren. Manche davon habe ich sogar zwischenzeitlich wieder aus den Augen verloren. Und wenn ich mir heute meine Notizen von Pernegg zur Hand nehme, finde ich so manches, was seither eingetreten ist, ich aber gar nicht mehr mit Pernegg in Verbindung gebracht habe. So ergaben sich tatsächlich schon einige Aha-Erlebnisse seither.
Der Dreipfeilerweg, so viel dazu, entstand als Idee lange vor Pernegg. In Pernegg kam die Energie zur Umsetzung dazu. Und seither habe ich Freude daran. Ohne Pernegg gäbe es den Blog ebenso. Aber ich bin mir sicher, dass es ihn nicht in dieser Ausprägung gäbe.
Mein Resümee zum Fasten:
- Auch wenn es um Ostern herum das große Thema ist: Fasten muss für mich nicht in der Karwoche sein.
- Fasten als Geschenk an sich selbst zu sehen, sich darauf einzulassen, kann ich nur jedem empfehlen.
- Den dabei entstehenden Gedanken und Emotionen zu vertrauen, lege ich jedem ans Herz.
- Und wer als Radsportler eine Fastenwoche riskiert, dem kann ich zudem nur dazu raten, das Rad mit zu nehmen, von Tag zu Tag zu spüren, wie es geht und drauf los zu fahren. Dass ich die intensivsten Glücksgefühle beim Radfahren im letzten Jahr im Waldviertel hatte, bringe ich nicht in erster Linie mit dem – zugegebenermaßen wunderschönen – Waldviertel in Zusammenhang.